Zwei Tage widmete sich der Zündfunk, das Szenemagazin auf Bayern 2, der digitalen Welt – auf dem Netzkongress am 9. und 10. Oktober 2015 im Münchner Volkstheater. Ein Nachbericht von Cornelia Roth und Barbara Streidl.

Das Podium „Hass oder Inspiration?“ ist mit drei bekannten Netzaktivistinnen besetzt: Anke Domscheit-Berg war bis vor einem Jahr bei der Partei der „Piraten“ aktiv, Kübra Gümüşay, eine Kopftuch tragende Feministin, engagiert sich gegen Alltagsrassismus und Anne Wizorek wurde bekannt durch den Hashtag #aufschrei, den sie 2013 etablierte.

Hetze gegen „Gutmenschen“ und Solidarität

Ganz klar ist ein Hauptthema die Hasskultur, die im Netz herrscht. Die Moderatorin Julia Fritzsche beschreibt diese mit Facebook-Seiten, die ihr das Gefühl geben, auf Propagandaseiten der NPD zu sein: Hier wird gehetzt gegen sogenannte „Gutmenschen“, Solidarität und Anstand. Vor allem Frauen, die zu Themen wie Rassismus und Sexismus eine kritische Haltung einnehmen oder sich feministisch äußern, erleben, dass auf sie immer wieder mit Hass und verbalen Angriffe reagiert wird.

Anke Domscheit-Berg liest Kommentare vor, in denen sie in ihrem Aussehen beleidigt wird, frei nach der Regel: Dann kann mit ihrer politischen Haltung sowieso nichts los sein. Darunter auch Androhungen sexueller Gewalt. Kübra Gümüşay erzählt von antimuslimischen Kommentaren, die als eine Mischung aus Hohn und Morddrohung daherkamen. Anne Wizorek gibt zu, dass solche Kommentare etwas mit ihr machen – selbst wenn sie es nicht will.

Solche Kommentare wirken nach

Diesen Hass gibt es auch außerhalb des Internets, stellt eine der Bloggerinnen fest; im Netz lässt er sich nur einfacher verbreiten. Unser antrainiertes Sozialverhalten funktioniert online zum Teil nicht, wird hinzugefügt, das müsste auch in den Schulen ein Thema werden. Eine Feststellung lautet: Bei bestimmten Hasskommentaren handelt es sich eindeutig um organisierte Aktionen von Gruppen im Netz. Hier spielt hinein, dass Netzgemeinschaften sich gegenseitig so aufschaukeln können, dass sie sich ihre eigene, extreme Realität erschaffen. Bei zwei der Bloggerinnen kommen die Hasskommentare praktisch nur von Männern. Eine von ihnen bekommt sie auch von Frauen.

Die Meinung trotzdem öffentlich äußern?

Kann einer jungen Frau überhaupt empfohlen werden, sich im Netz öffentlich zu äußern? Die drei Bloggerinnen beantworten diese Frage sehr klar mit Ja. Sie erzählen mit großer Begeisterung und beinahe leuchtenden Augen, welche Inspiration und welche Möglichkeiten ihnen das Internet bietet: Wie sie sich mit ihrem Bloggen, Twittern und all den anderen Möglichkeiten austauschen und vernetzen, von neuesten Ideen erfahren, Gleichgesinnte und Andersdenkende kennenlernen.

Anke Domscheit-Berg sagt, Online-sein ist ihr Recht, so möchte sie die Welt mitgestalten. Für Anne Wizorek ist das Netz ein Lebensraum, der für alle zur Verfügung steht. Und Kübra Gümüşay ist das Wichtigste, dass Frauen durch das Netz eine eigene Stimme haben. Sie bleibt trotzig sichtbar im Netz und will diese großartige Freiheit nicht mehr hergeben.

Das Netz – ein Lebensraum für alle

Was können wir tun? Welche Praktiken gibt es hinsichtlich des Umgangs mit Hasskommentaren?
Anne Wiezorek spricht sich für das Anzeigen von Drohungen und Beleidigungen aus: Eine Akzeptanz von solchen Äußerungen ist eine klare Eingrenzung der Meinungsfreiheit. Anke Domscheit-Berg sieht bei der Strafverfolgung Nachholbedarf. Kübra Gümüşay entgegnet, dass die Hass-Schreiber so nur noch mehr Aufmerksamkeit bekommen. Und sie will sich nicht mit Opfer-Sein beschäftigen müssen.

Es gibt die Möglichkeit, Filter einzusetzen, die eingesandte Kommentare auf Blogs und Plattformen vorab auf Hassformulierungen durchsuchen und blocken können, berichtet eine der Frauen. Außerdem besteht die Option, die Reihenfolge von Kommentaren unter einem Artikel zu ändern – so kann ein Schwall organisierter Hasskommentare so weit nach hinten rücken, dass sie niemand mehr liest.

„Rethink before you type“

Julia Fritzsche stellt ein neues Programm vor, das eine amerikanische Schülerin entwickelt hat: „rethink before you type“ vor. Es ruft diejenigen, die Kommentare mit gängigen Hassbegriffen schreiben, vor dem Veröffentlichen automatisch noch mal zum Überdenken auf. Und das scheint zu funktionieren.

Für Kübra Gümüşay ist ein wesentlicher Punkt mehr Zivilcourage – und zwar online wie in der analogen Welt. Sie erlebt auch bei Diskriminierungen auf der Straße – sie ist Muslimin und trägt ein Kopftuch –, dass betreten weggeschaut und geschwiegen wird statt einzuschreiten.

„Der Hass im Netz ist organisiert, deshalb muss die Liebe ebenso organisiert werden!“

Mit diesen Worten ruft Kübra Gümüşay zu einer Kultur aktiven gegenseitigen Beistands im Netz auf. Alle auf dem Podium erwarten zugleich mehr solidarisches Eingreifen von Seiten der Onlineportale.

Aus dem Publikum kommen viele Fragen. Darunter, ob es wichtig ist, dass Frauen sich Technik für das Netz aneignen, was Anke Domscheit-Berg bejaht. Ihrer Meinung nach sollte eine Programmiersprache noch vor der zweiten Fremdsprache auf allen Lehrplänen stehen.

Am Ende gewinnt: die Liebe

Auch wenn das Bedürfnis, die digitale Hasskultur zu besprechen, sehr groß ist, was mit der Fassungslosigkeit und dem Wunsch nach Verstehen zu tun hat: Es gibt es ein Happy End. Denn am Schluss der Diskussion gewinnt die Liebe über den Hass: Anke Domscheit-Berg und Anne Wizorek geben dem Netz 80:20 für die Inspiration gegen den Hass – und Kübra Gümüşay sogar 90:10. Ein durchaus positives Endergebnis.