Feministischer Leseclub Frauenstudien München e.V.

Nachbericht von Laura Freisberg

Wer sich mit Hannah Arendts politischer Theorie befasst, merkt schnell: Dezidiert feministische Fragestellungen tauchen in ihren Schriften nicht auf. Im Gegenteil: Vor allem in ihrem Hauptwerk ‘Vita Activa’ erklärt sie, dass alles was mit Familie, mit Hierarchien und Abhängigkeiten, mit Ökonomie und den menschlichen Körpern zu tun habe, nicht in den “öffentlich-politischen” Raum gehöre – ja die “Freiheit” und “Gleichheit” dieses Raumes gefährde.

Als Idealmodell eines solchen Raumes nennt sie in ‘Vita Activa’ die antike griechische Polis (vor Platon), aus der Frauen, Sklaven, Fremde und weniger wohlhabende Menschen von vornherein ausgeschlossen waren – und diesen Umstand kritisiert sie mit keinem Satz.

Trotzdem sind Hannah Arendts Texte auch aus einer feministischen Sicht unglaublich spannend: Denn erstens sind ihre Konzepte des Handelns, der Pluralität, des Erscheinungsraumes und der Natalität möglicherweise zeitlose Ideen – Arendt nennt es Phänomene -, die uns als politische Wesen in einer Gemeinschaft beschreiben.

Und zweitens lässt sich in ihrer politischen Theorie, in ihrem Nachdenken darüber, was uns als Menschen ausmacht, eine Anweisung zum guten Leben finden, die weit über das hinausgeht, was zum Beispiel feministische Politiken tagesaktuell beschäftigen.

Antje Schrupp und Hannah Arendt

Die Journalistin und Publizistin Antje Schrupp beschreibt in ihrem Vortrag, mit dem der Leseclub begann, wie sie selbst zu Arendts politischer Theorie gekommen ist – über die italienischen Differenz-Feministinnen rund um die Philosophinnen-Gruppe Diotima.

Die zentrale Idee, die Antje Schrupp von Hannah Arendt aufgreift und weiterdenkt, ist die Vorstellung, dass wir Menschen erst im “Handeln” – was bei Arendt immer ein Sprechen ist – zeigen, wer wir sind. Das heißt: Natürlich sind wir durch bestimmt Faktoren geprägt – Alter, Geschlecht, Herkunft, Beruf usw. -, doch das sagt höchstens etwas darüber aus, was wir sind – also Frau, um die fünfzig usw.

Wenn wir mit anderen Menschen in einem öffentlich-politischen Raum ins Gespräch kommen, zeigen wir also wer wir sind – indem wir miteinander sprechen; aus der Lust am “Denken” und dem Bedürfnis zu “verstehen” und der Notwendigkeit, in dieser Welt auch Standpunkte einzunehmen und zu “urteilen” (auch diese Tätigkeiten beschreibt Arendt in ihren Büchern, eine Zusammenfassung der “Vita contemplativa” hat sie aber nicht mehr fertigstellen können; es gibt z.B. über das “Urteilen” veröffentlichte Fragmente).

Kann man einfach sagen, ‘Rassismus ist keine Meinung’?

Von den beiden Thesen, die Antje Schrupp zum Ende ihres Vortrags zur Diskussion stellt, drehte es sich im Leseclub doch zumeist um ihre provokante Frage: “Kann man einfach sagen, ‘Rassismus ist keine Meinung’?”

Denn es gäbe in Diskussionen ja auch immer wieder Differenzen, die “nicht fruchtbar seien” – so Antje Schrupp. Könne man dann den Diskurs verweigern? Was bedeutet es, wenn man mit Menschen diskutiert, die Statements oder Meinungen nur nachplappern? Und wie wichtig ist es, nicht nur zu diskutieren, sondern auch zu urteilen, eine Haltung zu vertreten? Die Frage, wie Arendts Begriff einer “Pluralität” der Menschen im öffentlich-politischen Raum heute zu verstehen und anzuwenden sei, war schon im letzten Leseclub eine der zentralen Fragen. Und auch diesmal ließen sich keine abschließenden Antworten finden.

Allerdings hatten die Teilnehmerinnen des Leseclubs durch ihre Diskussion ja selbst einen Erscheinungsraum im Arendtschen Sinne entstehen lassen – und dieser besitzt seine Gültigkeit, gerade weil er nicht “Resultate” liefern muss.

Ein Leseclub zu einem der wichtigsten Bücher von Diotima, nämlich “Wie weibliche Freiheit entsteht”, fand im Februar 2015 statt, dazu gibt es zwei Nachberichte.

Zum Weiterlesen und -gucken: