Am 7. November 2023 ist Helma Mirus, eine der beiden Gründerinnen von Frauenstudien München, gestorben. Sie hatte 1988, also vor 35 Jahren, den Verein Frauenstudien zusammen mit Erika Wisselinck gegründet. Wie sie dazu gekommen war, schildert sie so:

Alles begann mit einem einwöchigen Seminar. Unter dem Thema ‚Feminismus und Spiritualität‘ analysierten rund 150 Frauen ihre gegenwärtige Position in unserer Gesellschaft, wie sie es seit dem Anfang der 70er-Jahre überall in Deutschland und anderen Ländern Europas auf den verschiedensten Ebenen taten. ‚Das Persönliche ist politisch‘ – das war der Slogan der 68-er Bewegung, der den Frauen besonders entsprach.

In den 70er Jahren wurde Helma Mirus zur Feministin

Meine eigene Entwicklung zur Feministin hatte ebenfalls in den 70er Jahren begonnen, zaghaft, langsam, ein schmerzhafter Geburtsprozess, ausgelöst durch die Situation nach der Geburt meiner beiden Kinder. Sie sind mit nur kurzem Abstand zur Welt gekommen, und so war ich gezwungen, meinen Beruf als Journalistin, in dem ich mich noch gar nicht hatte etablieren können, wieder aufzugeben. Ich wurde eine, wie man damals sagte, typische grüne Witwe, erschöpft von der Familienarbeit und angewiesen darauf, dass der abends heimkehrende Ehemann mir die Welt vermittelte.

Erschöpfung, Unzufriedenheit, Minderwertigkeitsgefühle erschienen mir lange als Folgen persönlichen Versagens – bis ich an die richtigen Bücher geriet, allen voran als Tür- und Augenöffner das Kursbuch Nr. 17 zum Thema Frau-Familie-Gesellschaft. Die Fakten zur Situation der Frauen und ihre Interpretation durch weibliche Forscherinnen ließen mich erkennen, dass meine Probleme nicht in erster Linie individueller, sondern gesellschaftlich-struktureller Natur waren. Das war zunächst ungeheuer erleichternd, doch schnell kamen Wut und Schmerz hinzu. Wut darüber, dass die wie mir schien so offenkundige Situation nicht im Bewusstsein der Gesellschaft war, und natürlich auch nicht in dem meines Mannes.

Frauenstudien-Gründerin Helma Mirus: Der Weg zur Feministin war ein schmerzlicher

Tiefer als die Wut gingen Trauer und Schmerz. Ich hatte mich bis dahin, mir unbewusst, ganz mit dem Denken, der Kultur Europas identifiziert, und musste nun erkennen, dass ich als Frau nie mit-gemeint war bei all den erhabenen Beschreibungen der menschlichen Bestimmung. Ich hatte keinen Platz mehr in diesem Geistesgefüge, und durch meinen, den Ausschluss der Frauen, erschien mir das Gefüge selbst verlogen, nur durch Machtinteressen definiert und aufrechterhalten.

Doch je mehr ich las und hörte, desto mehr dämmerte mir die geradezu körperlich beglückende Erfahrung, dass es eine Weltsicht gab, die uns Erkenntnisse und Bilder für die Veränderung unserer jetzigen Situation vermitteln konnte. Meine wichtigste und mich geradezu überwältigende Erkenntnis und zugleich die tiefste Erfahrung war die Verbindung von Politik und Spiritualität, wie sie vor allem durch Starhawk repräsentiert wurde, der Ökofeministin und Friedenskämpferin, die in den USA mit großem Erfolg die heidnische, frauenzentrierte Spiritualität wieder zum Leben erweckt hatte.

Der Feminismus wurde zu einer Basis für Mirus Leben

Die Tage des intensiven Zusammenseins zeigten aber nicht nur mir, sondern uns allen, wie viel Aufbruchstimmung, Lust auf Veränderung und wie viel Kraft in uns geweckt werden können, um neue Bilder von uns und der Welt zu erschaffen. Wir redeten uns die Köpfe – und die Herzen – heiß, lachten und tanzten, feierten Rituale, freuten uns unserer Unterschiedlichkeit und Vielfalt, entdeckten unser Potenzial. So veränderte sich für mich der Feminismus hin zu einer Basis für mein Leben, die mich in Freude trug. Und um wie viel wirksamer ist Freude als Lebensgrundlage auch für politisches Handeln als Schmerz und Trauer! Die Medien erahnten wohl die Sprengkraft solchen Denkens, denn ihre Berichterstattung war überwiegend hämisch bis bösartig, und – natürlich – von Frauen abgefasst!

In unserem Beruf als Journalistinnen hatten Erika Wisselinck und ich schon vorher immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wir Frauenthemen und Forschungsergebnisse aus Frauenbereichen in den offiziellen Medien nur sehr schwer unterbringen konnten, dass aber bei Frauen ein großes Interesse daran bestand. Darum beschlossen wir nun, Frauen aus allen Lebenssituationen direkt anzusprechen, um ihnen die neuen Erkenntnisse der Frauenforschung zu vermitteln und gemeinsam nach Wegen zu suchen, diese Erkenntnisse zu nutzen für den eigenen Alltag und das gesellschaftliche Engagement. Kein einziger Lebensbereich sollte ausgespart bleiben bei unserem Vorhaben, ein neues Weltbild aus Frauensicht zu entwerfen, das, anders als die patriarchalen Strukturen, dem Leben dienen kann.

1988 gründeten Helma Mirus und Erika Wisselinck Frauenstudien München

Glücklicherweise gab es bereits den gemeinnützigen Verein ‚Frauenstudien München‘. Die Gründungsfrauen des Vereins sahen sich genau zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, ihre Arbeit weiterzuführen und freuten sich über unsere Pläne. So konnten wir im Januar 1988 die ersten Kurse zur Einführung in feministisches Denken anbieten! Ich erinnere mich wie heute an die Begeisterung, die uns Organisatorinnen, die Referentinnen und die Teilnehmerinnen erfüllte. Diese kamen so zahlreich, dass wir den Kurs schon wenige Wochen später wiederholen konnten. Bald bildete sich ein fester Kern von Frauen heraus, die ganz regelmäßig kamen, auch schon früh Funktionen im Verein übernahmen und die sich zum Teil bis heute engagieren!

Das hat nach meiner Meinung auch ganz stark mit einer weiteren Überzeugung von uns Gründungsfrauen zu tun: Wir wollten nicht nur ohne jede Einschränkung für alle interessierten Frauen offen sein, sondern sie und uns gegenseitig auch als wirklich Gleichberechtigte behandeln. Es gab Zuständigkeiten und Verantwortung, ohne die keine Organisation existieren kann, aber es gab keine Hierarchie. Und mit diesem Ansatz haben wir 20 Jahre durchgehalten!“ (Vortrag zum 20jährigen Bestehen von Frauenstudien von Helma Mirus, 29.11.2008)

Frauenstudien-Gründerin Helma Mirus: Ende einer Ära im Jahr 2013

Im Jahr 2013 hat Helma Mirus dann zusammen mit anderen Frauenstudienfrauen der „1. Generation“ den feministischen Schlüssel an die nächste Generation mit Barbara Streidl und Susanne Klingner weitergegeben. Die Fortführung des feministischen Vereins in jüngeren Händen hat sie sehr gefreut. Helma Mirus blieb eine außergewöhnliche Frau. Vielen Dank für Deine positive feministische Energie, Helma!