Ein Nachbericht von Barbara Streidl

Der Krieg ist nicht vorbei – sein Schatten ragt auch bis heute in die Leben von Menschen, die lange nach 1945 geboren wurden. Darunter sind die „Kinder der Gewalt“, wie Miriam Gebhardt, außerplanmäßige Professorin für Geschichte an der Universität Konstanz und Autorin, in ihrem Vortrag eindrücklich deutlich macht: Menschen, die nach den Massenvergewaltigungen am Ende des Zweiten Weltkriegs zur Welt kamen, deren Mütter oder Großmütter traumatisiert wurden und ihre Traumata an ihre Kinder und Kindeskinder weitergegeben haben– und das oft ohne ein Wort darüber zu verlieren.

Miriam Gebhardt hat für ihr Buch fünf Einzelschicksale genauer beleuchtet. Es geht um vier Frauen und einen Mann. Aus dem Leben von Eleonore S., das erste im Buch genannte „Kind der Gewalt“, liest Katja Schild, Schauspielerin und Sprecherin im BR: Eleonore S. wurde geboren, nachdem ihre Mutter von einem französischen Soldaten vergewaltigt worden war. Sie bekam das Stigma des ungewollten Kindes von ihrer Mutter und ihrem französischen Stiefvater ihre ganze Kindheit über zu spüren. Nicht nur familiär war sie nicht verwurzelt, die richtige Zugehörigkeit zu Deutschland war für sie ebenso unerreichbar wie eine echte Heimat in Frankreich. Obwohl Gebhardt darauf hinweist, dass der französische Staat schon ein Interesse daran hatte, durch französische Soldaten gezeugte Kinder nach Frankreich zu holen: Der Krieg hatte ja große Lücken in die Bevölkerung gerissen.

Die Menschen hätten sich nach ihrem Buch „Als die Soldaten kamen“ von 2015 an sie gewendet, beantwortet Gebhardt die Frage aus dem Publikum, wie der Kontakt zu den „Kindern der Gewalt“ zustande gekommen sei. Es gehe hier nicht um eine Neuschreibung der Geschichte, keinesfalls sollen aus Täterinnen Opfer werden – doch diese Leerstelle in der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs muss beleuchtet werden, so Gebhardt. Die „transnationale“ oder „transgenerationale“ Weitergabe von Traumata ist ein recht neuer Zweig in der Forschung, Gebhardt beschreibt „unsichere Bindungen“ zu den Müttern; gar eine Art „Kontobuch der Familie“. So berichtet sie von einer Frau, die über fortwährende Schmerzen im Unterleib klagt – sie fühlt damit möglicherweise die Mehrfachvergewaltigung ihrer Mutter nach.

Dass die globale Ächtung von Kriegsvergewaltigung bis heute ebenso wenig abgeschlossen ist wie die umfassende Anerkennung der Traumatisierung der Opfer, zeigt die Abstimmung über eine UN-Resolution im April 2019: Ein Vorschlag aus Deutschland, durch den Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten besser vor sexualisierter Gewalt geschützt werden sollten, wurde durch ein drohendes Veto von USA, China und Russland geschwächt. Bei der Abstimmung enthielten sich China und Russland. Mit dem Ergebnis, dass keine neue Arbeitsgruppe eigens zur Erfassung der sexuellen Übergriffe eingerichtet wird. Ebenso wird kein fester internationaler Mechanismus zur Verfolgung der Täter etabliert und es soll auch keine Angebote zu „reproduktiver Gesundheit“ (gemeint sind auch Schwangerschaftsabbrüche) geben. „Dies wäre ihr Nürnberg-Moment gewesen“, sagte Amal Clooney (Menschenrechtsanwältin) im Vorfeld in Anspielung auf die Nürnberger Strafprozesse. Im April 2019 gab es dann leider nur einen Nürnberg-Moment-light.