Lesung

Online-Lesung und Vortrag: „Der lange Abschied von der weißen Dominanz“

Charlotte Wiedemann hat sich als Reporterin in Afrika und Asien seit langem mit dem Thema „Wir und die Anderen“ beschäftigt. Nun verbindet sie in einer weiträumigen essayistischen Erkundung die weltweiten Umbrüche mit den inneren Turbulenzen der Einwanderungsgesellschaft. Sie beginnt ihre Nachforschungen, was Weiß-Sein bedeutet, in der eigenen Kindheit, im Kosmos einer deutschen Homogenität der 1950er Jahre, die lange nicht als Produkt der NS-Zeit erkannt wurde. Epochen und Kontinente durchstreifend sucht sie dann nach Koordinaten, wie wir uns geistig und seelisch neu verorten können. Dazu gehört auch, sich der Rolle weißer Frauen im Kolonialismus zu stellen und deren Auswirkungen auf heutige Bewegungen in den Blick zu nehmen. Ist ein konstruktives Abschiednehmen von der weißen Dominanz möglich?

„Weiß ist mehr als eine Hautfarbe, es handelt sich um eine soziale Postion, um Haltungen und Deutungsmuster. Weiße Dominanz zeigt sich im Verbrauch von Ressourcen, in Wirtschaftsmacht und Finanzströmen, in der Deutung von Konflikten, in der Geschichtsschreibung. Auf all diesen Feldern bricht ein neues Zeitalter an.“
(aus Charlotte Wiedemann, Der lange Abschied von der weißen Dominanz)

Die Welt von morgen wird nicht mehr von jener weißen Minderheit geprägt sein, die in den vergangen 500 Jahren die globale Ordnung bestimmt hat. Die alteingesessenen Deutschen und Europäer verlieren einen Status, der ihnen selbstverständlich erschien, und sie müssen begreifen, dass ihre Definitionen von Fortschritt, Entwicklung oder Feminismus nicht länger als universell gültig akzeptiert werden.

„Fühlt sich weißer Machtverlust so ähnlich an wie der männliche Machtverlust in früheren Jahrzehnten?“
(aus Charlotte Wiedemann, Der lange Abschied von der weißen Dominanz)

Dieses Buch ermuntert dazu, Selbstveränderung als Befreiung zu denken. Es ist auch ein sehr persönliches Plädoyer, sich den Verflechtungen von kolonialen Verbrechen und Judenmord zu stellen und daraus zu einer neuen Ethik des Respekts zu finden. Ein Einwanderungsland Deutschland gewinnt neue Zugänge zu den Lehren aus der Shoah; dies macht einen Blick auf Israel jenseits eurozentrischer Verengungen möglich.

„In einer ländlichen Region von Mali, die selten von Weißen besucht wird, begannen kleine Kinder bei meinem Anblick zu weinen oder zu schreien. Sie wandten sich ab, bedeckten ihre Augen und suchten Schutz hinter den Beinen der Erwachsenen. Einmal scheute das Pferd eines Hirten. Der Hirte meinte, sein Pferd habe mich für einen Geist gehalten.“
(aus Charlotte Wiedemann, Der lange Abschied von der weißen Dominanz)

„Der lange Abschied von der weißen Dominanz“ ist ein Mosaik kurzer Texte. Die Form unterstreicht, dass es zu diesem großen Umbruch keine fertigen Antworten gibt, sondern nur Partikel von Gedanken. Unter der Moderation von Julia Fritzsche gibt Charlotte Wiedemann Einblicke in ihr Buch “Der lange Abschied von der weißen Dominanz”.

Biografie Charlotte Wiedemann

Charlotte Wiedemann; © Annette Daugardt

Charlotte Wiedemann, geboren 1954 – nur neun Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, wie sie in „Der lange Abschied von der weißen Dominanz“ schreibt, ist Journalistin und Autorin. Sie hat vor allem als Auslandsreporterin für Magazine, Zeitungen und in Büchern das Thema „Wir und die anderen“ aus mehreren Perspektiven beleuchtet. 2017 erhielt sie den Spezial-Preis der Otto-Brenner-Stiftung für ihr Lebenswerk.

 

 

 

Biografie Julia Fritzsche

Julia Fritzsche; © Julia Schärdel

Julia Fritzsche, geboren 1983, ist Autorin für Hörfunkfeatures und Fernsehbeiträge (BR und andere); 2019 erschien ihr Buch „Tiefrot und radikal bunt – für eine neue linke Erzählung“ (Edition Nautilus).
 

 

 

 

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Datum

18 Nov 2020
Vorbei!

Uhrzeit

19:00

Veranstaltungsort

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Kategorie

Veranstaltende

Frauenstudien München
E-Mail
info@frauenstudien-muenchen.de

Referentin

  • Charlotte Wiedemann
  • Julia Fritzsche
    Moderation

    macht Filme und Radiofeatures für ARD und Arte. Für ihr Buch „Tiefrot uns radikal bunt – Für eine neue Erzählung“ sammelte sie Utopien für ein besseres Leben – bei streikenden Pflegekräften, Indigenen in Lateinamerika, Münchner Asylhelfern und Queerfeminist*innen. Ihre Radiofeature über Rape Culture, Klassismus und den System Change erhielten zahlreiche Preise, darunter den Otto-Brenner-Preis und den Deutschen Sozialpreis. Von 2010 bis 2012 machte sie das Volontariat beim Bayerischen Rundfunk.

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