Feministischer Leseclub Frauenstudien München e.V.

Nachbericht von Laura Freisberg

Die afrodeutsche Bewegung, aus der Mitte der 80er Jahre Organisationen wie Adefra e.V.  und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland entstanden, wurde maßgeblich durch die feministische Bewegung geprägt – ein Umstand, der vielen Feministinnen in Deutschland nicht bewusst ist, genau wie eine ganze Reihe von historischen Fakten und afrodeutschen Lebensgeschichten.

Die Berliner Wissenschaftlerin Dr. Natasha A. Kelly widmet sich in ihrem Buch “Afrokultur – der raum zwischen gestern und morgen” der afrodeutschen Geschichte und beschreibt dazu beispielhaft die Rollen von drei wichtigen (feministischen) AkteurInnen: W.E.B. Du Bois (1868-1963), Audre Lorde (1934-1992) und May Ayim (1960-1996).

Die us-amerikanische Aktivistin und Dichterin Audre Lorde kam als Gastdozentin nach Berlin, bis zu ihrem Tod lebte sie immer wieder für längere Zeit in Deutschland. In diesen Jahren ermutigte sie afrodeutsche Frauen und Männer, ihre eigene Stimme zu finden und hörbar werden zu lassen – zum Beispiel die Poetin May Ayim. Doch auch Audre Lorde ist Teil einer längeren Reihe von Männern und Frauen, die sich für ein Schwarzes (Selbst)-Bewusstsein eingesetzt haben. Natasha A. Kelly untersucht in “Afrokultur” zum einen, wie zum Beispiel W.E.B. Du Bois (1868-1963) auf seine Zeit und auf die nachfolgenden Generationen gewirkt hat – zum anderen nimmt sie selbst als Wissenschaftlerin in dieser Reihe ihren Platz ein.

Beim Leseclub der Frauenstudien München erklärte Natasha A. Kelly, warum sie W.E.B. Du Bois als “ideology broker”, Audre Lorde als “culture broker” und May Ayim als “change agent” definiert. Sie erläuterte, was sie unter “Ent_wahrnehmung” versteht – und in welcher wechselseitigen Beziehung dabei die Bewusstseinsebene, die Bildebene und die Sprachebene stehen. Gleichzeitig zeigt sie in ihrem Buch “Afrokultur”, das auf ihrer Doktorarbeit basiert, Gegenstrategien auf: dazu gehört die Selbstbenennung von Schwarzen als “afrodeutsch” oder als “Schwarz” (als politische Kategorie und deshalb auch mit großem Anfangsbuchstaben). Eine weitere Gegenstrategie ist der “counter gaze”, die Möglichkeit, zum Beispiel Fotos, die während des Kolonialismus entstanden sind, “neu” zu lesen.

Diese Methode demonstrierte Natasha A. Kelly eindrücklich mit zwei Fotos aus den Jahren 1906/7 und 1910, die sie auch in “Afrokultur” analysiert.

Natasha A. Kelly verwies auch auf die so unterschiedlichen Lebensgeschichten von Sarah Baartmann, der Frau die als “Hottentottenvenus” in Europa wie ein Ausstellungsstück behandelt wurde und von Anton Wilhelm Amo (ca 1703-1753), erster afrodeutscher Dozent an einer deutschen Universität. Beide Schicksale waren vielen der Leseclub-Teilnehmerinnen nicht bekannt und dieser Umstand zeigt, wie der Mechanismus der “Ent_wahrnehmung” bisher funktioniert hat – und wie viele Geschichten es noch zu hören gilt.

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Zur Autorin

Natasha A. Kelly ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin mit den Forschungsschwerpunkten race und gender. Die in London geborene und in Deutschland sozialisierte Panafrikanistin ist die gewählte Hauptvertreterin der Europäischen Union im Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen des Berliner Senats (2012–2017). Sie selbst versteht sich als »akademische Aktivistin«, die stets versucht, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden, um die Wichtigkeit und Notwendigkeit von Transferleitungen zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zu betonen. Die Autorin und Dozentin hat an zahlreichen privaten und staatlichen Einrichtungen in Deutschland und Österreich gelehrt und ist in diversen ehrenamtlichen Projekten engagiert.