Werdende Mütter jubeln, sie könnten ihrer Tochter ein Prinzessinnenzimmer einrichten. Die Kinderabteilung im Kaufhaus leuchtet dort Rosa, wo die Mädchensachen hängen, und ist in dunkle Tarnfarben getaucht, wo Jungen einkaufen sollen. Trägt ein Junge etwas Rosafarbenes hört er: „Aber du bist doch kein Mädchen!“ Wir codieren über Farben Weiblichkeit und Männlichkeit und fangen damit schon bei den ganz Kleinen an. Wir halten Rosa und Blau für die „klassischen“ Farben der Geschlechter und ignorieren dabei, dass bis zur Wende zum 20. Jahrhundert Rosa noch die traditionelle Babyjungenfarbe war, während Blau – in Anlehnung an das Gewand der Maria – die Mädchen schmückte.
Mit „Pink Stinks“ hat sich in England ein Verein gegründet, der mit Geschlechterklischees aufräumen will; Pinkstinks Germany hat sich dasselbe für Deutschland vorgenommen. Stevie Schmiedel, Gründerin, Vorstandsvorsitzende, Geschäftsführerin und Pressesprecherin von Pinkstinks Germany sprach am 24. September 2014 im voll besetzten Saal des Münchner Stadtmuseums über ihre Motivation, Strategien und die alltägliche Vereinsarbeit. Gemeinsam mit nur 2 festen Mitarbeitern, aber vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern hat sie Demonstrationen gegen das Barbie Dream House, Germanys Next Top Model oder auch für sexuelle Selbstbestimmung auf die Beine gestellt, sie nervt die Werbeindustrie mit Shitstorms gegen herabwürdigende Werbung und setzt sich mit Gesetzgebern und Kreativen an einen Tisch, um für Sexismus zu sensibilisieren. Vor ein paar Tagen startete eine Petition gegen Sexismus in der Werbung. » Unterschreiben
Stevie Schmiedel sprach in München darüber, dass es ein schmaler Grat sein kann, gegen die Klischees, die Pink und Rosa implizieren – nämlich eine allumfassende Verniedlichung – zu kämpfen und gleichzeitig den Mädchen und Frauen, aber auch den Jungen zu vermitteln: ihr seid auch dann OK, wenn ihr eben doch mit rosa Spielzeug spielen wollt. Nicht zuletzt deshalb heißt ihr kommendes Buch – konträr zur Parole „Pink stinks!“ – „Pink für alle“. Es wird im Oktober erscheinen, das eBook ist schon jetzt zu haben. » mehr Infos
Vor der Veranstaltung erschien im Familienmagazin Himbeer München ein kurzes Gespräch mit Stevie Schmiedel. » lesen
Der Bayerische Rundfunk sendete am Tag nach der Veranstaltung einen langen Beitrag, inklusive Originaltöne aus Stevie Schmiedels Vortrag, aber auch exklusiven Interviewschnipseln. » lesen
Auch die Digital Media Women berichteten über den Abend und die Pinkstinks-Petition zu sexistischer Werbung. » lesen
Stevie Schmiedel schrieb nach der Veranstaltung im Pinkstinks-Blog auch noch ein paar Worte. » lesen
Und wer am 24. September nicht im Münchner Stadtmuseum dabei sein konnte, hat online die Möglichkeit, den Vortrag in unserer neuen Online-Reihe „F-Talks“ auch noch nachträglich jederzeit anzusehen:
Dr. Stevie Meriel Schmiedel, Deutsch-Britin, ist Dozentin für Genderforschung und lehrte zuletzt an der Universität Hamburg und der Hochschule für Soziale Arbeit (Rauhes Haus). Sie hat zwei Töchter und ist 1. Vorstandsvorsitzende und Pressesprecherin bei Pinkstinks.
Das Gespräch führte Susanne Klingner, Journalistin in München.
Die Veranstaltung war eine Kooperation mit dem Bayernforum der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Weiterlesen:
„Pink“ im Feministischen Lexikon auf fraulila.de.
Endlich packt mal jemand dieses heiße Eisen an… 😉
Diese Veranstaltung hat mir gut gefallen und ich habe etliches gelernt. Stevie Schmiedel kann sehr gut vermitteln, um was es ihr geht. Ich hatte gar nicht so genau hingeschaut die letzten Jahre, was da im Gang ist, wie die alten Klischees der 50iger Jahre wieder gehypet werden. Und mir war erst recht nicht klar, dass es einen engen Zusammenhang zu Marktstrategien gibt: mit klischeehaften Normen ein Mangelbewußtsein erzeugen, so dass Mädchen und Jungen nur mit entsprechenden Accessoires und Produkten sich als ein „richtiges Mädchen“, ein „richtiger Junge“ fühlen. Klug antwortete Stevie Schmiedel auf die Frage, warum Pink Stinks als erstes bei der Werbe-Industrie und nicht beim Bewusstsein der KäuferInnen ansetze: sicher könne die Werbung nur da Wirkung erzielen, wo Menschen verunsichert seien – und das sei bei den Geschlechterrollen in positiver Weise der Fall, es sei viel in Bewegung gekommen durch die Frauenbewegung der 70iger und 80iger Jahre. Ohne die überbordende und einhämmernde Werbung für Rollenklischee-Produkte an jeder Ecke könnte sich aber nicht ein derartiges „must be“ entwickeln: entweder ein schmachtendes Püppchen darzustellen oder einen wegweisenden Macher zu spielen. Mir selber fiel auf, dass die Verkaufsmasche der Geschlechterklischees an einer Entwicklung in der Frauenbewegung ansetzt, die notwendig und richtig war: nämlich festzustellen, dass Frauen nicht das „andere Geschlecht“, eine Abwandlung des (männlichen) „Menschen“ sind, sondern ein eigenes Geschlecht, das nicht durch Vergleich definiert werden kann. Damit einhergehend entstanden Frauentreffen, „Mädelsabende“, Frauenreisen, spezielles Frauenfitness usw. usw. Genau darauf ist die kapitalistische Vermarktung inzwischen aufgesprungen und propagiert die uralten (beide Geschlechter) einengenden Klischees. Höchste Zeit also, die Freiheit des weiblichen (und männlichen) Selbstbewusstseins zu verteidigen! Stevie Schmiedel sagte, dass sie gerade deshalb „weiblich“ und „männlich“ nur als Extreme auf einem menschlichen Kontinuum sieht – was für mich den Begriffen von „Frau“ und „Mann“ nicht widerspricht.
Ich habe mich in den letzten Jahren zusammen mit anderen viel damit beschäftigt, wie sich gesellschaftliche Themen und Werte verändern können für ein gutes Leben aller http://www.abcdesgutenlebens.de/ : Themen wie Bezogenheit, Fürsorge, Haushalt – alles traditionell Frauen zugesprochen – brauchen deutlich mehr allgemeine Wertschätzung und Beachtung. Nach der Veranstaltung wurde mir bewusster, dass dies schwer gelingen wird, wenn Frauen und Männer in den alten Rollenklischees festhängen, die nicht nur weibliches Selbstbewusstsein verringern, sondern bei Männern Ängste verstärken, sich um „weibliche“ Themen zu kümmern mit der ganzen Abwertung dieser Themen im Hintergrund. Der Einsatz für eine veränderte Gewichtung gesellschaftlicher Werte braucht die Bewegung, die zur Zeit unter dem Label „Gleichberechtigung“ läuft genauso wie umgekehrt. Danke Stevie Schmiedel!
Erste Studien in 2007 haben nahegelegt, dass Männer/Frauen kulturübergreifend unterschiedlich auf Farben reagieren. Während zwar blau zwar von allen gut gefunden wird, tendieren Frauen mehr zu Rosa/Rottönen. Ob das nun evolutionstechnisch mit dem Beerensammeln/Jagen-Unterschied zu erklären ist, sei dahingestellt. Es muss auch noch weiter und genauer untersucht werden.
Mein Eindruck ist aber, dass diese Bevorzugung von Farbcodes bei Kindern natürlich ist. Daran ändern auch nicht religiös bestimmte Farbgebungen vor einem Jahrhundert. denn diese waren gerade nicht „natürlich“, von den Kindern gewollt, sondern glaubens-/schriftbedingt durch die Erwachsenen, und historisch ja auch nur vorübergehend.
Und selbst, wenn das ein kulturelles Phänomen wäre – wo ist das Problem? Wir bestaunen und bewundern solche kulturellen Äußerlichkeiten bei den Naturvölkern immer so sehr, und hier wird es dramatisiert, problematisiert.
Dann ist es eben Teil unserer Kultur, dass Jungen meist „blau“ sind, Mädchen meist „rosa“. Beides ist hübsch anzusehen und solche Traditionen geben ja auch Geborgenheit und Zufriedenheit.
Und dass die Kinder ausdrücklich diese Farben lieben und wollen, sollte auch manch altfeministische Eltern überzeugen. Es ist nicht immer alles vom „System“ gewollt, wenn im Leben etwas nicht so läuft, wie gewünscht/erwartet.
Mit dem Spielzeug ist es das Gleiche. Die 60er/70er-/80er Frauen haben einen Riesenbogen um technische Studienfächer gemacht, trotz zahlreiche Fördermaßnahmen und „girls days“ an den Unis. Sie werden nicht Kanalbauer, Siloreiniger oder machen andere gefährliche Männerberufe. Und die Jungs spielen von Anfang lieber mit Autos, Starwars-Lego, die Mädchen mit Puppen und Pferden. Alles Zufall?
Gelassen mit den Unterschieden leben wäre vielleicht auch mal ein guter Ansatz. Ich stimme allerdings zu, dass eben gerade diejenigen Männer und Frauen, die von der Mehrheit ihrer Geschlechtsgenossen abweichen und etwas anderes tragen/arbeiten, die Akzeptanz und Toleranz aller dafür erhalten sollten.
Denn wenn es letztlich darum geht, das zu tun oder zu wählen, was einen glücklich macht, egal ob Männer und Frauen dabei unterschiedlich abschneiden, dann sollte das für alle gelten, also auch für die, die vom Durchschnitt abweichen.
Darum nicht Pink stinks, oder Pink für alle, sondern: Glück für alle.
Lieber Tobias Bachmann,
in den Achtzigern gabs noch keine Girls Days geschweige denn davor! Das fing erst vereinzelt an in den Neunzigern.
Allerdings begann damals auch der Rollback, dessen volle Wucht wir heute erleben.
In meiner Kindheit gab es nur Unisex-Lego und ich habe nie mit Puppen gespielt, sondern war stolz auf meine Matchbox-Autos. Auch wenn mein Bruder dank zahlreicher Tanten leider mehr davon hatte … Beim Rollenspiel war ich immer die Prinzessin, meine Schwester die Königin, aber wir beide haben bestimmt, wie die Geschichte laufen sollte. In der Grundschule gabs zwei konkurrierende Banden, beide geführt von gemischten Spitzen. Heute wohl nicht mehr vorstellbar.
Wie eng die Sichtweise von Tobias Bachmann ist erschließt sich aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung:
„Aber warum mögen viele Mädchen eigentlich so gerne Rosa? Das weiß niemand so genau. Angeboren ist es bestimmt nicht. Und auch nicht unumstößlich. Schließlich war vor hundert Jahren Rosa die Farbe der Jungs.
Als die belgische Prinzessin Astrid im Jahr 1927 ihr Kind erwartete, war sie sich sicher, dass es ein Sohn werden würde. Deshalb dekorierte sie die Wiege „in der Jungenfarbe Rosa“. Rosa galt nämlich damals als „das kleine Rot“. Und Rot stand für Blut und Kampf – und damit für Männlichkeit.
Im Jahr 1918 schrieb eine amerikanische Frauenzeitschrift: Rosa sei nun mal „die kräftigere und damit für Jungen geeignete Farbe“. Die Mädchenfarbe damals war dagegen Blau. Denn auf alten Bildern in der Kirche trägt die Jungfrau Maria ganz häufig Blau. Also war Hellblau, „das kleine Blau“, für die Mädchen vorgesehen.“
Mein Patensohn ist mit dem rosa Kleid seiner Kusine in den Kindergarten gegangen, weil er es so schön fand. Erst die Reaktionen der Umwelt brachten ihn davon ab. Meine Tochter hatte einen Spielzeug-Werkzeugkasten, den es damals noch geschlechtsunabhängig zu kaufen gab und hat begeistert gebohrt und geschraubt. „Wir werden nicht als Mädchen geboren – wir werden dazu gemacht“ Dieses Buch von Ursula Scheu belegt dezidiert, wie vom ersten Moment an mit Mädchen und Jungen unterschiedlich umgegangen wird. Das Buch wurde 1977 veröffentlicht. Ein aktuelles Werk zum Thema ist „Die Geschlechterlüge“ von Cordelia Fine. Sehr fundiert belegt sie das weder Frauen von der Venus noch Männer vom Mars sind und was bei den Untersuchungen, die solches angeblich belegen, im Argen liegt.
Nein, es ist nicht egal, wenn Menschen in ein einengendes Korsett gezwängt werden. Ganz gleich welche Farbe es hat.
Glück für alle ist eben ganz und gar nicht garantiert, wenn Gehirn und Körper in enge Käfige gesteckt werden.