Auf der Tagung „Under (Re-)Construction“, die das BayernForum der Friedrich-Ebert-Stiftung, das Deutsche Jugendinstitut, die Evangelische Stadtakademie, die Frauenakademie München e.V. und die Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München veranstalteten, wurde von rund 100 Teilnehmenden rege diskutiert, wie Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestaltet werden kann.

Eindrücke von Ellen Diehl

Eine Frau arbeitet nach ihrer Ausbildung mehrere Jahre in ihrem Beruf und wird dann schwanger. Nach der Geburt des Kindes nimmt sie Elternzeit, ihr Partner arbeitet weiterhin in Vollzeit. Als das Kind in den Kindergarten kommt, kehrt sie zurück auf ihre Stelle – jedoch in Teilzeit, da das Kind nur einen Halbtagsplatz erhalten hat. Ihren Wunsch, bei Schuleintritt des Kindes wieder Vollzeit arbeiten zu können, bleibt unerfüllt, da es für das Kind keinen Hortplatz gibt, sodass sie darauf nachmittags aufpasst. Schließlich verdient ihr Partner deutlich mehr als sie. Als der Rentenbescheid eintrifft, wird ihr immer bewusster, welche Konsequenzen die Entscheidungen für sie im Alter haben werden…

…doch wie sähe ihre Situation aus, wenn auch ihr Partner Elternzeit nehmen würde und sie sich nach der Elternzeit die Sorgearbeit um ihr Kind weiterhin teilen würden? Er schraubt seine Arbeitszeit auf Teilzeit herunter, sie arbeitet in „großer“ Teilzeit und sie erhalten dafür beide teilweise finanziellen Ausgleich durch den Staat. Außerdem nutzen sie Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen, wie Bring- und Holdienste des Kindes zur/von der Bildungseinrichtung oder Aufräumdienste im Haushalt, die ebenfalls vom Staat subventioniert werden.

Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten

Dieses „Erwerb-und-Sorge-Modell“ schlägt die Sachverständigenkommission im Gutachten zum 2. Gleichstellungsbericht vor, den die Bundesregierung jede Legislaturperiode vorlegt. Darin heißt es:

„Frauen wollen sich beruflich entwickeln und in allen Branchen und Ebenen tätig sein können. Männer wollen Sorgearbeit leisten können, ohne dabei stereotypisierender Abwehr zu begegnen. Beide wollen nicht in ökonomische Sackgassen geraten. Dafür sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es Menschen möglich machen, gleichberechtigt an der Erwerbsarbeit teilzuhaben, ohne dafür auf private Sorgearbeit verzichten zu müssen.“

Und weiter:

„Das Erwerb-und-Sorge-Modell heißt auch: Die nachweislich bestehenden Probleme der Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit sollen nicht im Privaten von den Einzelnen bewältigt werden müssen. Politik ist aufgerufen, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Erwerbs- UND Sorgearbeit für alle, die dies wünschen, ermöglicht werden.“

Nur düstere Aussichten?

Dr. Regina Frey, Leiterin der Geschäftsstelle des Zweiten Gleichstellungsberichts, Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V., führte zu Beginn aus, dass das neue Modell auf Nancy Frasers Gedanken zum „Earner-Carer“-Modell aus den 90er-Jahren aufbaut. Der Bericht sei zudem in Anbetracht der Analyse erarbeitet worden, dass wenn keine politischen Maßnahmen die ungleiche Bezahlung bei den Geschlechtern beenden sollten, der Gender Pay Gap sich nach Prognosen erst in 120 Jahren schließen werde.

Zu den Chancen der Aufgabenneuaufteilung dank der Digitalisierung referierte Christina Schildmann, Mitglied der Sachverständigen-Kommission, Hans-Böckler-Stiftung: Studien zeigen, dass die Möglichkeit des mobilen Arbeitens die Care-Bereitschaft bei Männern steigere. Hierarchien könnten zudem abflachen und Alpha-Leader durch Führungsteams abgelöst werden, was Frauen zugutekäme. Andererseits bestehe die Gefahr, dass Arbeitszeiten nicht mehr erfasst werden und das Abgrenzungsmanagement auf das Individuum abgewälzt wird. Weibliche Selbstständigkeit sei außerdem von einer besonderen Ungerechtigkeit betroffen: Der Gender Pay Gap betrage bei Selbstständigen 44 Prozent. Insgesamt müssten ihrer Ansicht nach politische Rahmenbedingungen gesetzt werden, die die Chancen ermöglichen und die Gefahren eindämmen.

Selbstbestimmte Zeitaufteilung für ein gutes Leben

Dass es wichtig ist, die Lebensverlaufsperspektive einzunehmen, um ineinander greifende politische Rahmenbedingungen zu schaffen, betonte Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe, Mitglied der Sachverständigen-Kommission, Universität Gießen. Neben der Care-Arbeit für Kinder und zu pflegende Verwandte oder andere nahe stehende Menschen seien Eigenzeit oder Zeit für Ehrenamt weitere wichtige Faktoren, die zum guten Leben dazugehören. SAHGE-Berufe (Soziale Arbeit, Haushaltsnahe Dienstleistungen, Gesundheit & Pflege, Erziehung) müssten ferner aufgewertet werden, da darin insbesondere Frauen aktuell unterbezahlt arbeiten, diese Berufe aber zukünftig immer wichtiger werden. Die staatliche Bezuschussung von Haushaltsnahen Dienstleistungen würden Frauen in doppelter Hinsicht nutzen: als ordentlich verdienende Beschäftigte, aber auch als Nutznießerinnen, die Unterstützung erfahren.

Dr. Ulrike Spangenberg, Institut für gleichstellungsorientierte Prozesse und Strategien, Berlin, erinnerte daran, dass Steuern sehr wohl steuern und nie neutral sind. Die altbekannten problematischen Anreize durch das Ehegattensplitting würden ihrer Ansicht nach vermutlich auch in einer neuen Großen Koalition nicht abgeschafft werden, was jedoch wichtig wäre, damit sie das besprochene neue Modell nicht konterkarieren.

Die zahlreichen weiteren Diskussionen zusammenfassend: Take care! So hätte das Gutachten zum 2. Gleichstellungsbericht nämlich auch heißen können. Dieses Motto sollten wir uns alle zu Herzen nehmen!

Weitere Infos

Die Präsentationen der Referentinnen stellt das DJI auf seiner Website zur Verfügung. Der Gleichstellungsbericht, seine (Kurz-)Zusammenfassung und verschiedene Themenblätter sind außerdem hier zu finden.