Ein Nachbericht von Barbara Streidl

Über 30 Interessierte hatten sich in der Münchner Stadtbibliothek eingefunden und lauschten interessiert dem Vortrag von Dr. Isabel Rohner über Leben und Werk von Hedwig Dohm.

Isabel Rohner, 1979 in St. Gallen geboren, hat Hedwig Dohm bereits während ihres Studiums der Germanistik, Philosophie und Romanistik schätzen gelernt, ihre Texte waren Bestandteil von Isabels Magisterarbeit und ihrer Dissertation. Sie ist eine echte Kennerin – Publikum und Podium hatten das Gefühl, Hedwig Dohm würde lebendig unter ihnen weilen.

Hier können Sie sich die Aufzeichnung von Isabel Rohners Vortrag ansehen:

Im anschließenden Gespräch ging es um einzelne Texte aus dem ersten Band der von Rohner und Nikola Müller herausgegebenen Hedwig-Dohm-Edition „Ausgewählte Texte“.

Über die Novelle „Werde, die du bist“ (erschienen 1894) wurde gesprochen, in deren Mittelpunkt eine ältere Frau, Agnes Schmidt steht. Die nach dem Tode ihres Mannes, den sie bis zuletzt gepflegt hat, plötzlich keine Rolle mehr für sich selbst sieht und somit auch ob ihrer Existenz (-berechtigung) hadert. Wenn sie nicht mehr Ehefrau, Tochter oder Mutter ist – ihre Töchter sind erwachsen und „brauchen“ sie nicht mehr – was ist sie dann? Gesprochen wurden auch über die Naturverbundenheit der Protagonistin, die vor allem in Capri Glück empfindet angesichts der Lieblichkeit von Meer und Sonne. Dies, so Rohner, ist eine intertextuelle Verknüpfung zu Goethes „Italienischer Reise“.

„Draußen im Freien finde ich Ruhe. Sobald ich zwischen meinen vier Wänden bin, fängt es wieder an, das Wirre, die Empfindung, als säße der Kopf nur so locker auf. Und ich halte ihn zuweilen, ich halte ihn mit beiden Händen. Ich kann nicht denken, was und wie ich will. Es ist, als drängen Ideen, Bilder, Vorstellungen von außen auf mich ein, heiße und wilde, zu viele! zu viele! … Wahnsinn – ist das etwas anderes, als das Stillhalten den Ideen, Visionen, die zu uns kommen und von uns gehen, wir wissen nicht, woher und wohin, und über die wir keine Macht haben? Ist das Wahnsinn, so war ich länger als fünfzig Jahre wahnsinnig. Immer habe ich fremdem Willen, fremder Meinung still gehalten.“

Dohm hat mit “Werde, die du bist“ quasi Simone de Beauvoirs berühmten Satz „On ne naît pas femme, on le devient“ – „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es“ vorgezeichnet, war doch ein immer wiederkehrender Gedanke von ihr das „Werden“ der Frauen: So wollten die „Herren“ vor allem, dass Frauen auf Zuruf das werden, was die Umstehenden gerade benötigen. Doch wie werden Frauen zu dem, was sie selbst sind? In ihrem Text „Werde, die du bist!“ erzählt Dohm die Geschichte einer Frau, die genau das versucht: sie selbst zu werden.

Viel wurde auch nach Dohms Biografie gefragt. Als ältestes von 17 (!) Kinder aufgewachsen, war sie selbst Mutter von vier Töchtern, ihr Sohn starb im Kindesalter an einer Krankheit. Berühmt als Thomas Manns Schwiegermutter und Mutter von Katia Mann wurde ihre Tochter Hedwig Dohm-Pringsheim. In einem Nachruf auf ihre Eltern schrieb diese:

„Wann sie ihren Beruf als Schriftstellerin entdeckte, was sie ursprünglich antrieb, als Vorkämpferin für ihr Geschlecht die Feder zu ergreifen, weiß ich nicht so recht. Ihr Mann hat sie sicher nicht dazu animiert, sie aber auch nicht daran gehindert.“

Zu Lebzeiten war Hedwig Dohm sehr bekannt für ihren unglaublichen Output, und in Sachen Universalgenie konnte sie Goethe durchaus das Wasser reichen.

„Eine Meisterin der Genres“ – nennt Rohner Hedwig Dohm, die Märchen, feministisch-politische Essays, Lustspiele, Romane, Novellen und jede Menge Artikel und Aphorismen schrieb und sich als Kämpferin für die Gleichberechtigung von Frauen unglaublich einsetzte:

„Ich brauche niemand zu fragen, was in der Frauenbewegung das Richtige ist. Ich weiß es. Der, dem ein Dachziegel auf den Kopf fällt, weiß, dass das Dach schadhaft ist.“

2019 ist der 100. Todestag von Hedwig Dohm – es bleibt zu hoffen, dass diese großartige Autorin und Aktivistin sichtbar bleibt und von vielen (wieder-)entdeckt wird.

Die Veranstaltung war eine Kooperation mit der Münchner Stadtbibliothek.

Münchner Stadtbibliothek