„Frauenhass in öffentlichen Online-Räumen wächst sich zur Epidemie aus“, schreibt die britische Publizistin und Bloggerin Laurie Penny in ihrem aktuellen Bestseller „Unsagbare Dinge“. „Die Geschichte der Frauenverachtung. Sie zu kennen ist eine Voraussetzung für jede Form von Selbstbild einer Frau“, schreibt die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz im Nachwort von Jack Hollands Buch über Misogynie.

Zwei feministische Ikonen aus zwei Generationen trafen sich im Münchner Literaturhaus zum Gespräch über ein altes Thema: den weit verbreiteten Hass gegen Frauen. Verbale Angriffe auf Frauen, Hetzkampagnen und herablassende bis gewalttätige Kommentare sind kein neues Phänomen – sie sind aber trotz fortschreitender Emanzipation auch noch lange nicht verschwunden. Im Gegenteil erleben sie im digitalen Zeitalter eine neue Blüte. Sogenannte Pick-Up-Artists, die Frauen nur als Jagdobjekte sehen, gehören ebenso zu unserem Hier und Jetzt wie tragische Nachrichten über die konsequente Demütigung, Misshandlung oder gar Tötung von Frauen weltweit.

Eine neue Blütezeit der Misogynie

Woher kommt dieser Frauenhass und wer sind aus welchen Gründen seine Initiatoren? Welches Verständnis von „Männlichkeit“ liegt dem Phänomen zugrunde? Wieso werden viele „weibliche“ Attribute immer noch als mangelhaft gesehen? Wie festigen Geschlechter-Vorurteile die Abwertung von Frauen? Neben der Frage nach den Wurzeln der Misogynie soll es bei diesem Gespräch auch nachdrücklich darum gehen, einen möglichen Weg zu ihrer Überwindung zu erforschen und Gegenstrategien zu diskutieren.

Den Abend moderierte Julia Fritzsche vom Bayerischen Rundfunk. Es dolmetschte Julia Rönnau.

Nach einem Grußwort von Cony Lohmeier von der Gleichstellungsstelle der Landeshauptstadt München sprach Marlene Streeruwitz in ihrem Anfangsstatement davon, dass Männer die Schlüsselgewalt verloren, Frauen diese aber nicht gewonnen haben. Der Patriarch sei nur von außen angeschnitzt, im Kern aber nie erreicht. Das Männlichkeitskonstrukt wird so immer wieder erneuert. Ein Bild unserer Gesellschaft ist die Geschichte von Frau Holle aus dem gleichnamigen Märchen. Frau Holle ist für Streeruwitz ein besonderes Ärgernis, schon immer gewesen, denn sie stellt die Regeln nicht klar. Sie schafft Verführungen, aber es ist nie klar, wo der Lohn ist. Nostalgie, unmögliches Glück wird versprochen. Pechmarie kommt damit eher klar als Goldmarie. Die Kulturinstitutionen erscheinen als Sprechmächte des Antifeminismus. Das Leben wird aus den Resten des Patriarchats immer wieder neu zusammengeflickt für Männer und Frauen, nicht neu gedacht. Ein angedeuteter Faschismus in der postchristlichen Gesellschaft beruht auf dem Geschlechterverhältnis.

Marlene Streeruwitz‘ Vortrag haben wir aufgezeichnet. Den gesamten Text, auf den sie sich bezieht, kann man auf derStandard.at nachlesen.

Im anschließenden Gespräch ging es zuerst um Frauenverachtung. Laurie Penny sagte, Frauenverachtung komme als Bewunderung des schönen Geschlechts daher. Wir bekommen keine Anerkennung, wenn wir nicht schön sind und an dieser Schönheit auch immer arbeiten. Marlene Streeruwitz sagte, die Verachtung sei so tief eingebaut, dass sie nicht bewusst ist. Gerade auch beim Lob für Frauen bzw. mit Lob wird verachtet. Ebenso unter der Formel Frauen zu „beschützen“. Ihr Roman „Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland“ wurde erwähnt, in dem es viel um das tatsächliche heutige Leben von Frauen in Griechenland geht, Frauen, die kein Geld mehr haben, genügend Milchpulver für ihre Babys zu kaufen, und die Fläschchen deshalb mit Wasser verdünnen.

Seit den 60igern gibt es die Idee der sexuellen Autonomie von Frauen, wenn sie auch nicht mit der Idee des Abstands von Gewalt gegen Frauen einhergeht. Frauen werden im Vorhandensein ihrer Sexualität und in ihrer sexuellen Autonomie ernster genommen, wenn dies auch manche Männer sehr wütend macht, sagte Laurie Penny. Ihr neuer Kurzgeschichtenband „Babys machen“ wurde erwähnt. In einer Geschichte „Viking Night“ werden die traditionellen Geschlechterrollen umgedreht, indem ein Mann eine Geschäftspartnerin in einen Stripclub ausführt.

Marlene Streeruwitz sagte, dass Internethetze zugleich einen vermarktbaren Skandalwert für Zeitungen bringe, was ihrer Ansicht nach pervers sei. So mache die Frauenverachtung aus Frauenäußerungen an sich eine Provokation, es gilt neue Internetstrategien finden.

Laurie Penny stimmte zu, Misogynie sei somit zu einem neuen Wirtschaftsfaktor geworden. „Die weibliche Meinung ist der Minirock des Internets“. Wer sich damit zeige, könne mit entsprechenden Reaktionen rechnen, inklusive der Anschuldigung, man dürfe sich über ebenjene Reaktionen nicht wundern. Laurie Penny berichtete, dass sie als Reporterin einer Zeitung nur über Frauenthemen schreiben sollte, wohinter ihrer Meinung nach eine Struktur steckt.

Marlene Streeruwitz betonte, dass bei der Diskussion über die soziale Situation von Frauen und bei der Diskussion über weibliche Befreiung immer in unterschiedlichen Kulturen zu denken ist. Laurie Penny berichtete aus ihrer Heimat Großbritannien, dass der moderne Kapitalismus von der unbezahlten Arbeit von Frauen lebt – wie auch hierzulande. Gelder für britische Frauenhäuser wurden gekürzt, was ein Rückschlag für Frauen ist. Sie befragte kürzlich Frauen und Männer zu romantischer Liebe. Viele Frauen, auch junge meinten: „Das ist Quatsch.“ Viele Männer sagten dagegen: „Das ist großartig.“ Offensichtlich existieren unterschiedliche Erfahrungen, die Männer erleben dabei offenbar schlicht eine andere Realität.

Welche Wege schlagen die beiden Referentinnen vor, um dem Frauenhass zu begegnen, wenn nicht sogar zu entkommen?

Laurie Penny fordert die totale wirtschaftliche Revolution mit bedingungslosem Grundeinkommen und der freien Entscheidung zur Reproduktion.

Marlene Streeruwitz hält auch das bedingungslose Grundeinkommen für den richtigen Weg, merkt aber realistisch an, dass es dafür wegen der Flüchtlingssituation zu spät sei – zuvor hätte es aber alle Machtverhältnisse geändert.

In der Diskussion fragte zuerst ein Mann, warum Lob Unterdrückung bedeutet. Wenn Lob als Herabsetzung und als unerbetene Beurteilung erfolgt, ist es eine Entmündigung und soll klein machen. Marlene Streeruwitz sagte, dass die Überwindung des Patriarchats auch andere Formen des Umgangs und der Kommunikation verlangt. Kontextabhängig ist zu entscheiden, ob etwas ein ernst gemeintes Lob oder Herabsetzung und Entmündigung ist.

Der Verachtung auf den Grund gehen, das bedeutet, die wirtschaftliche Lage der Frauen, die Ökonomie zu betrachten. Aus dem Publikum wurde auf das Buch von Friederici Buch hingewiesen: „Caliban und die Hexe“.

Laurie Penny sagte, es sei schwer, den Männern zu erklären und auch den Frauen, dass das Ziel des Lebens einer Frau nicht daran hängt, den Männern gut zu gefallen und ihre Anerkennung und Wertschätzung zu finden.

Marlene Streeruwitz sagte, der Neoliberalismus habe auch das Ideal des Mannes verändert. Die Werbung habe die Rolle der Kirche übernommen. Heute gelte nicht mehr, was der Patriarch sage, es sei jetzt komplizierter. Wir sind einerseits in einer postpatriarchalischen Zeit und zugleich mit dem Feminismus nicht weitergekommen. Maskulinismus sei eine Antwort auf diese Entwicklung.

Eine Zuhörerin brachte das Thema Pick-up Artists auf. Laurie Penny meinte, diese seien wie ein Kult, ein selbst erschaffenes Leitbild der Männlichkeit. Dieses hat starke Züge der Selbstoptimierung, es wird ein Gewinnerkult betrieben, Frauen werden als klar den Männern untergeordnet definiert.

Abschließend äußerte Marlene Streeruwitz die Forderung, die Misogynie in der „Hochkultur“ müsse kritisiert und bekämpft werden. Wir dürften uns nicht auf politische Korrektheit reduzieren lassen.

 Der Abend war eine Kooperation mit dem Bayernforum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Auf der Webseite des Bayernforums gibt es ebenfalls eine ausführliche Dokumentation des Abends.

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